Wiener Festwochen in der Klemme: Oksana Lyniv kritisiert Teodor Currentzis

Wiener Festwochen in der Klemme: Oksana Lyniv kritisiert Teodor Currentzis

© Kai Bienert

Wiener Festwochen in der Klemme: Oksana Lyniv kritisiert Teodor Currentzis

Die ukrainische Dirigentin durchkreuzt die Pläne der Wiener Festwochen, denn sie weigert sich, dort neben Teordor Currentzis aufzutreten. Das bringt auch den SWR in Bredouille.

Von Axel Brüggemann

Lange hat die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv über den griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis geschwiegen, nun kritisiert sie ihn scharf auf Grund seiner Verbindungen nach Russland und seines Schweigens zum Angriffskrieg auf ihre Heimat. Auslöser sind die Wiener Festwochen. Der neue Intendant Milo Rau hatte geplant, Lyniv und das Kyiv Symphony Orchestra im Juni mit dem Kaddish Requiem „Babyn Jar“ des Ukrainers Jevhen Stankovych auftreten zu lassen, außerdem soll das SWR-Orchester unter seinem Chefdirigenten Teodor Currentzis Benjamin Brittens „War Requiem“ interpretieren.

Das Festival wolle, so heißt es im Dramaturgen-Deutsch der Ankündigung, „die Frage nach der Verantwortung und nach den Grenzen der Kunst als utopischem Raum in aller Schärfe thematisieren.“ Doch diese Idee war mit Lyniv offensichtlich nicht abgesprochen. Deshalb ging die Dirigentin nun in die Offensive und stellte ihre Teilnahme öffentlich in Frage: „Ich kann es gegenüber den fast 150 Musikerinnen und Musikern, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Wien reisen, nicht verantworten, in einem Kontext mit Teodor Currentzis gestellt zu werden und eventuell sogar an einem Whitewashing teilzunehmen“, erklärte Lyniv in einem Statement. „Currentzis’ Verbindungen nach Russland machen es derzeit unmöglich für mich, in einem Kontext mit ihm aufzutreten. Es war auch mit den Festwochen nicht abgesprochen, dass die Konzerte miteinander in Verbindung stehen.“

Wiener Festwochen in der Klemme: Oksana Lyniv kritisiert Teodor Currentzis

Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester bei der Uraufführung von „Mahler Unfinished“ in Stuttgart.

© Nils Wagner

Lyniv ist derzeit Chefdirigentin in Bologna und war die erste Frau, die bei den Bayreuther Festspielen dirigiert hat. Ihre Currentzis-Kritik bezieht sich auf die Russland-Beziehungen des griechischen Dirigenten, der noch nach der Annexion der Krim die russische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Currentzis’ russisches Orchester „MusicAeterna“ wird von der sanktionierten VTB-Bank unterstützt, er tritt in Konzerten auf, die von Gazprom unterstützt werden und hat sich bis heute nicht davon distanziert, dass Musiker seines Orchesters deutsche Journalisten auf einer Deutschland-Tournee als „Nazis“ beschimpft haben.

Currentzis schweigt

Zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine schweigt Currentzis beharrlich. Tatsächlich wäre es unter diesen Bedingungen wohl kaum vorstellbar, 150 junge Menschen in Zeiten des Krieges aus der Ukraine nach Wien reisen zu lassen, um hier im Kontext mit Currentzis aufzutreten. Ein ähnliches Vorhaben scheiterte bereits letztes Jahr in Wiesbaden. Hier hatte Intendant Uwe Eric Laufenberg ohne Absprache mit den entsprechenden Künstlerinnen gehofft, dass der Chor der Nationaloper Kiew in einem Kontext mit Anna Netrebko auftreten würde. Als der Chor erfuhr, dass er zum Whitewashing nach Deutschland kommen sollte, sagte er ab. Später gab auch die russische Oppositions-Punk-Band Pusy Riot dem Intendanten einen Korb. 

Milo Rau, der für seine provokativen Regiearbeiten bekannt ist, zeigt auf Anfrage Verständnis für Lynivs Bedenken. Bereits vor der Absage der Dirigentin hatte er öffentlich erklärt, dass er einen Auftritt von Currentzis und dem SWR-Orchester ohne ukrainischen Gegenpol für „fragwürdig“ halte. An dieser Einschätzung hält er noch immer fest. 

Diskussion im Internet

Die öffentliche Kritik an dem von den Wiener Festwochen effektvoll inszenierten Showdown zwischen einem in Russland gefeierten Künstler mit einer ukrainischen Dirigentin wurde im Netz schnell laut. Auf Facebook wurde der Vergleich angestellt, dass es wirke, „als wollen die Festwochen Vergewaltiger und Opfer unter einem Dach präsentieren“. Andere Stimmen kommentierten: „Dachten die sich, man könnte Lyniv und Teodor Currentzis quasi wie im Hahnenkampf gegeneinander antreten lassen?“ 

Milo Rau zeigt sich erstaunt über die heftigen Reaktionen und sagt, er sei offensichtlich nicht gänzlich über Currentzis’ Arbeit in Russland informiert gewesen. Als Regisseur des Filmes „Die Moskauer Prozesse“ hatte Rau gezeigt, dass er durchaus Sympathie mit Putin-Gegnern wie der Band Pussy Riot hat. Nun will der Festwochen-Intendant unbedingt am Konzert des Kaddish Requiems mit der ukrainischen Dirigentin festhalten.

Die Festwochen hoffen auf eine Lösung

„An allem anderen halte ich nicht krampfhaft fest, da befinden wir uns nun in einem Prozess der Abstimmung mit allen Beteiligten“, sagt er. Oksana Lyniv zeigt sich zuversichtlich, dass „wir in den nächsten Wochen eine gemeinsame Lösung mit den Wiener Festwochen finden.“ Sie bleibt allerdings bei ihrer ursprünglichen Forderung, nicht im Kontext mit Teodor Currentzis aufzutreten.

Der SWR schweigt zur aktuellen Situation. Man wolle den Fall nicht kommentieren, heißt es aus der Pressestelle des Senders. Fragen müssten die Festwochen beantworten, sie seien verantwortlich für das Konzert. Dabei geraten das Orchester des SWR, seine Gesamtverantwortliche, Sabrina Haane und Intendant Kai Gniffke immer weiter unter Druck. Es ist historisch wohl einzigartig, dass der Chefdirigent eines von Gebühren finanzierten deutschen Radioorchesters nach dem Krieg sowohl im In- als auch im Ausland auf Grund seiner politischer Haltung gemieden wird. Während die Salzburger Festspiele noch eine Art Sommerresidenz für Currentzis sind, haben die Philharmonie Köln und das Konzerthaus in Wien bereits vor einiger Zeit angekündigt, ihn vorerst nicht mehr zu engagieren. in Köln wurde ein bereits geplantes Konzert mit dem SWR Orchester deshalb abgesagt.

Kölns Intendant Louwrens Langevoort erklärte damals, dass die Aktivitäten und die Finanzierung von Currentzis’ eigenen Ensembles vermuten ließen, dass der Dirigent „dem russischen Regime sehr nahesteht“. Und auch beim Lucerne Festival steht der Chefdirigent des SWR derzeit nicht mehr auf dem Programm. Die Stiftung der Berliner Philharmoniker betonte auf Anfrage, dass es kein Vertragsverhältnis der Stiftung mit Currentzis oder dessen Orchester „Utopia“ für den kommenden Auftritt in der Philharmonie im Mai gebe. Eine Pressesprecherin der Philharmonie erklärt: „Wir vermieten Termine, die dann von den Gastveranstaltern mit Programmen gefüllt werden. In diese Programme reden wir den Gastveranstaltern nicht hinein, und wir kennen sie zum Zeitpunkt der Vergabe auch nicht. Unterbinden können wir nur Veranstaltungen, die die öffentliche Ordnung gefährden.“ 

Es dürfte für den SWR eine Gretchenfrage werden, wie die Situation bei den Wiener Festwochen gelöst wird. Denkbar sind verschiedene Szenarien: Das Orchester tritt ohne seinen Chef an oder zieht sich komplett vom Auftritt in Österreich zurück. Ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass Currentzis durch einen anderen Dirigenten aus Russland ersetzt wird, etwa durch Kirill Petrenko oder Vladimir Jurowski, die in der Vergangenheit durchaus Gespür und Haltung gegenüber den Opfern des russischen Angriffskrieges gezeigt haben. Oksana Lyniv hat auf jeden Fall klar gemacht, dass sie jemanden, der über den Krieg schweigt nicht für geeignet hält, um den Frieden zu bringen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de