AfD, Identitäre und die „Remigration“: Wie der Plan zur Vertreibung salonfähig gemacht werden soll

AfD, Identitäre und die „Remigration“: Wie der Plan zur Vertreibung salonfähig gemacht werden soll

© dpa/Harald Tittel

AfD, Identitäre und die „Remigration“: Wie der Plan zur Vertreibung salonfähig gemacht werden soll

Die AfD spielt ein doppeltes Spiel zwischen Rechtsextremismus und Rechtsstaatlichkeit. Das zeigt exemplarisch der AfD-Vorsitzende im Saarland, Carsten Becker.

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Carsten Becker tritt an das Rednerpult im saarländischen Landtag. Der AfD-Landesvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführer der kleinen Landtagsfraktion stellt einen Antrag zum Thema „Remigration“ vor. Becker lächelt und sagt: „Wegen der Debatte um den Begriff möchte ich kurz aus Wikipedia zitieren.“

Der AfD-Mann spricht von der wissenschaftlichen Verwendung des Begriffs, ironisch fügt er an: „Ein absoluter Nazibegriff also!“ Die AfD meine mit Remigration lediglich Abschiebungen, nichts mehr, versichert Becker. Der Auftritt des AfD-Mannes steht sinnbildlich für die Doppelstrategie der in weiten Teilen rechtsextremistischen Partei, völkisches Gedankengut salonfähig zu machen.

Das Wort Remigration ist seit den Recherchen von Correctiv zu einem Treffen rechtsextremer Kreise sowie hochrangiger AfD-Mitarbeiter deutschlandweit bekannt geworden. Die Parteispitze der AfD bezeichnet die Recherchen offiziell als angebliche Lügen.

Die AfD arbeitet mit doppelten Botschaften: Durch den Begriff Remigration wird die rechtsextreme Kernklientel bedient. Auf offizieller Bühne greift man zur Strategie der Selbstverharmlosung und versichert, es gehe nur um ohnehin ausreisepflichtigen Migranten.

David Begrich, Experte für Rechtsextremismus

Kurz nach Bekanntwerden unterstützen aber alle ostdeutschen AfD-Landesverbände den bekannt gewordenen Inhalt des Treffens und machen ihn zur offiziellen Beschlusssache: die Remigration als Plan zur Vergrämung auch deutscher Staatsbürger mit Migrationsgeschichte, die aus Sicht der Partei „nicht assimiliert“ sind. Im Saarland erreicht der Begriff an diesem Dienstag auch ein Landesparlament außerhalb Ostdeutschlands.

Der Magdeburger Rechtsextremismusexperte und Soziologe David Begrich beschreibt die Strategie wie folgt: Die AfD arbeite „mit doppelten Botschaften“, erklärt Begrich. „Durch den Begriff Remigration wird die rechtsextreme Kernklientel bedient. Auf offizieller Bühne greift man zur Strategie der Selbstverharmlosung und versichert, es gehe nur um ohnehin ausreisepflichtige Migranten.“ Durch unterschiedliche Sprechräume, sagt Begrich, funktioniere das auch. Im Parlament gibt sich die Partei oft seriös, auf Social Media radikal.

Der Auftritt des saarländischen Landesvorsitzenden Becker veranschaulicht die Strategie: Becker gab sich am Dienstag im Parlament rechtsstaatstreu. Er verwies darauf, dass die AfD auch nur mehr ausreisepflichtige Asylbewerber abschieben wolle – genau wie Bundeskanzler Olaf Scholz.

Im Sommer 2023 hingegen tauchte Becker mit einem T-Shirt der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung (IB) auf einem Schulhof auf. Auf dem T-Shirt stand die Parole: „Unser Volk zuerst. Autarkie – Souveränität – Remigration“. Für Becker, der auch für rechtsextremistische Internetportale schreibt, bedeutet der Begriff Remigration demnach weit mehr, als er im Landtag einräumt.

Rechtsextremisten nutzen das Wort „Remigration“ seit 2011

Tatsächlich stammt das Wort Remigration zwar aus der Wissenschaft und bezeichnet die freiwillige oder erzwungene Rückkehr von Migranten in Heimatländer, auch manches Flüchtlingsamt hat deshalb noch eine Abteilung für Remigration. Identitäre deuten den Begriff spätestens seit 2011 als Heilmittel gegen „Masseneinwanderung“, so schrieb es damals der französische Identitären-Vordenker Renaud Camus.

Seit dem Ende der Zehnerjahre taucht das Wort auch in Deutschland auf, wird als zentraler Begriff insbesondere von Martin Sellner und seiner IB genutzt. Der Bewegung, deren T-Shirts AfD-Mann Carsten Becker in Schulen trägt.

Sellner stellte auch bei dem Treffen in Potsdam vor, was er unter Remigration versteht. Er beschriebe seinen Plan im Nachhinein öffentlich. Er wolle drei Gruppen aus Deutschland herausdrängen: Asylbewerber, Nicht-Staatsbürger und sogenannte „nicht assimilierte“ Staatsbürger. Für die dritte Gruppe will Sellner einen „hohen Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze“, um sie aus dem Land zu bekommen.

Björn Höcke beschrieb dies schon in einem Buch im Jahr 2018 als „Remigrationsprojekt“. Dieser Plan werde Jahrzehnte dauern, schrieb der Rechtsextremist kürzlich in einer Stellungnahme mit fünf AfD-Landeschefs aus Ostdeutschland.

Gericht erklärt Junge Alternative wegen völkischem Denken für rechtsextrem

Begrich erklärt die rechtsextremistische Deutung so: „Remigration ist ein Konzept zur Durchsetzung weitgehender ethnischer Homogenität.“ Dem zugrunde liege die völkische Vorstellung „ethnischer Reinheit und einer formierten Volksgemeinschaft“, sagt der Forscher.

Diese Ideologie wurde am Dienstag der Jungen Alternative (JA) juristisch zum Verhängnis: Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte deren Einstufung durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem. Eine zentrale politische Vorstellung der JA sei der „Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand“. Dies stelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar, befand das Kölner Gericht. Der Weg dahin: Remigration.

Rechtsextremismusexperte David Begrich sagt dem Tagesspiegel: „Die Kommunikation der AfD und von Identitären wie Martin Sellner ist längst eng verschmolzen und strategisch aufeinander abgestimmt.“ Das geben auch Teilnehmer des Treffens in Potsdam offen zu: Es sei dort auch um eine gemeinsame Kommunikationsstrategie gegangen, hieß es danach. Das sei auch durch die Recherchen von Correctiv nun für eine breite Öffentlichkeit offensichtlich, sagt Begrich, „aber neu ist es nicht.“ Inzwischen zeigen unter anderem Recherchen des Bayerischen Rundfunks, dass weitere Treffen des Rechtsxtremen Sellner und AfD-Politikern stattgefunden haben.

Die SPD wollte das Wort „Remigration“ im Saarland verhindern

Zurück ins Saarland. Hier bemühte sich die SPD darum, den Antrag des AfD-Vorsitzenden Becker noch zu verhindern – zumindest aber sollte das Wort „Remigration“ nicht auf einem offiziellen Landtagsdokument auftauchen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Commerçon sagt dem Tagesspiegel dazu: „Sprache schafft Wirklichkeit. Und eine Sprache, die auf die grundgesetzwidrige und gewaltsame Deportation von Menschen abzielt, darf es in einem deutschen Parlament nie wieder ohne Widerspruch geben“, sagt der SPD-Politiker dem Tagesspiegel. „Wir dürfen die verharmlosende Sprache der Rechtsextremen nicht einfach hinnehmen. Hinter ihren Sätzen und Formulierungen stecken konkrete Pläne, menschenverachtende Taten und Verbrechen zu begehen.“ Die SPD wollte deshalb auf dem amtlichen Dokument im Landtag zumindest den Begriff verhindern. Das scheiterte letztlich auch an rechtlichen Bedenken besonders in der CDU-Fraktion.

Für Forscher Begrich ergibt diese Gegenstrategie ohnehin wenig Sinn: „Der Begriff Remigration ist jetzt in der Welt. Es ist vergebliche Liebesmüh, die Verbreitung zu verhindern“, sagt Begrich dem Tagesspiegel. Dazu habe auch die Wahl zum Unwort des Jahres beigetragen. „Es braucht stattdessen Aufklärung über die rechtsextremistische Umdeutung dieses Begriffes“, sagt Begrich.

Für den Identitären Martin Sellner und die organisierte Rechte ist jede Erwähnung des Wortes Geld wert: Der Rechtsextremist veröffentlicht im März 2024 ein Buch zum Thema. Darin will er seinen rechtsextremen Verlegern zufolge angeblich die „Abgrenzung von unmenschlichen Szenarien“ aufzeigen. AfD-Politiker wie Carsten Becker helfen mit jeder Nennung des Begriffs in der politischen Debatte dabei, den Verkaufserfolg zu steigern. Das Buch des Rechtsextremisten führt die Büchercharts bei „Amazon“ schon vor Veröffentlichung an.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de