Steuern runter, Wirtschaft rauf?

Deutschlands Wirtschaft bleibt im Krisenmodus. Die Bundesregierung will die Bedingungen für Unternehmen verbessern, diskutiert aber über den richtigen Weg. Wie bewerten Experten die Vorschläge?

Es ist so eine Sache mit der Einigkeit in der Ampel-Regierung. Im jüngsten Fall haben Finanzminister Christian Lindner von der FDP und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck immerhin ein gemeinsames Ziel. Die Unternehmen in Deutschland sollen entlastet und der Wirtschaftsstandort gestärkt werden. Die Ampel-Fraktionen aber streiten darüber, wie sich das erreichen lässt.

Habeck hatte sich zuletzt für ein milliardenschweres Sondervermögen ausgesprochen, um steuerliche Gutschriften und Abschreibungen zu ermöglichen. Finanzminister Lindner lehnt diese Idee ab. Ein Sondervermögen bedeute neue Schulden, so der FDP-Chef. Lindner hat dafür eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Unternehmen ins Spiel gebracht. Das wiederum kritisiert etwa Grünen-Chefin Ricarda Lang. Sie habe noch keinen Vorschlag zur Gegenfinanzierung gehört.

Zwei unterschiedliche Philosophien

In der Debatte erkennt Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), zwei unterschiedliche Philosophien. Wirtschaftsminister Habeck gehe es nicht darum, die Steuern für die Unternehmen allgemein zu senken: „Sondern damit auch gleich zu verbinden, die Wirtschaft zu lenken. Also genau zu formulieren, für welche konkreten Investitionen beispielsweise jetzt Abschreibungsvergünstigungen vorgenommen werden sollen.“

Hinter dem Vorschlag zur Abschaffung des Solidaritätszuschlages stehe eine andere Philosophie, so Kooths gegenüber tagesschau.de. Hier werde nicht lenkend eingegriffen, sondern die Abgabenlast für die Unternehmen insgesamt gesenkt.

Der Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, bemängelt eine fehlende wirtschaftspolitische Strategie der Bundesregierung. „Es besteht eine krasse Uneinigkeit zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium und dadurch eine extreme Verunsicherung“, sagte Fuest bei einer von der Industriestaatenorganisation OECD organisierten Diskussionsrunde.

Geht es ohne neue Schulden?

Wenn es um die Frage neuer Schulden geht, sind auch die Meinungen unter den Ökonomen geteilt. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Bank, ist skeptisch, ob die Stärkung der Wirtschaft ohne ein schuldenfinanziertes Sondervermögen oder einen Staatsfonds funktioniert: „Wenn ich Staatsausgaben habe, die knapp fünfzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, natürlich habe ich dann in Theorie Recht, wenn ich sage, ich könnte da und dort etwas abknapsen.“ Die politische Realität sei aber eine andere, so Brzeski im Gespräch mit tagesschau.de. Die einfachere Lösung, um überhaupt Handlungsfähigkeit zu zeigen, sei es, doch neue Schulden aufzunehmen.

Stefan Kooths vom IfW sieht das anders. Er spricht sich dagegen aus, Erleichterungen für Unternehmen per Kredit zu finanzieren. Schon jetzt gebe es einen Konflikt über die Verteilung des Geldes: „Wir gehen jetzt in eine Phase des demographischen Wandels, und der bringt leider mit sich, dass sich die Verteilungskonflikte in Deutschland verschärfen werden.“ Mit der Aufnahme neuer Schulden verschiebe sich der Konflikt nur in die Zukunft, so Kooths.

„Wachstumschancengesetz“ hängt fest

Im Richtungsstreit zwischen Lindner und Habeck hat sich nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz eingeschaltet. Scholz verwies auf das „Wachstumschancengesetz“: ein Paket, das etwa Steueranreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien vorsieht. „Ich hoffe, dass dieses sehr konkrete und sehr praktische Projekt, das die Investitionsfähigkeit von Unternehmen erleichtern soll, auch mit der Zustimmung der Länder etwas werden wird“, sagte Scholz.

Derzeit allerdings hängt das Vorhaben im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Die Länder kritisieren, ein Großteil der Kosten bleibe an ihnen hängen. Wie schnell das Gesetz tatsächlich beschlossen wird, bleibt also offen. Der Vermittlungsausschuss trifft sich am 21. Februar wieder. Wirtschaftsminister Habeck befürchtet, die Länder könnten das geplante Entlastungsvolumen von rund acht Milliarden Euro beschränken: „Am Ende werden da wahrscheinlich drei Milliarden rauskommen, also es wird noch kleiner, quasi homöopathisch“, warnte Habeck in der ARD-Sendung Caren Miosga.

Deutschland fällt international zurück

In Berlin tobt nun also ein wirtschaftspolitischer Sturm – der damit zusammenhängt, dass an anderer Stelle Flaute herrscht. Die Konjunktur steckt weiterhin in der Krise. Im Januar hat sich nach den Befragungen des ifo-Instituts die Stimmung in den Unternehmen eingetrübt. Und immer mehr Betriebe berichten davon, dass Aufträge ausbleiben: sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungsbereich.

Die Folgen sind jetzt schon absehbar. Im internationalen Vergleich dürfte Deutschland weiter hinterherhinken. Wirtschaftsforscher erwarten etwa in Spanien, Italien oder Frankreich mehr Wachstum als in der Bundesrepublik. Besonders groß dürfte der Unterschied zu den USA ausfallen, wo die Wirtschaft zuletzt um mehr als drei Prozent zulegte

Niedrigere Steuern kein Allheilmittel

In einem Punkt sind sich auch Ökonomen weitestgehend einig: Niedrigere Unternehmenssteuern allein dürften nicht ausreichen, um dem Wirtschaftsstandort auf die Beine zu helfen. Die Standortqualität sei von einem ganzen Bündel an Faktoren abhängig, so IfW-Ökonom Kooths. Er sagt: „Wir können hier eine höhere Steuerlast haben, wenn der Standort die Steuern auch wert ist.“ Deutschland gingen aber allmählich die Argumente für den Standort aus.

Ähnlich argumentiert auch ING-Chefvolkwirt Brzeski, dem eine Steuerdebatte allein „zu engstirnig“ ist. Der Standort Deutschland bestehe nicht nur aus Steuern: „Dann konkurrieren wir mit Irland oder Luxemburg. Und das bekommen wir so nicht hin.“