Das US-Politdrama „Reality“ : Verhör einer Whistleblowerin

Das US-Politdrama „Reality“ : Verhör einer Whistleblowerin

© Grandfilm

Das US-Politdrama „Reality“ : Verhör einer Whistleblowerin

Beklemmendes Kammerspiel aus der Trump-Ära: „Reality“ hält sich exakt an das Verhörprotokoll bei der FBI-Verhaftung von Reality Winner, die Geheimdokumente geleakt haben soll.

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Die Rückenansicht einer Frau in der Kabine eines Großraumbüros. Auf den Fernsehbildschirmen, die sie umgeben, läuft leise der Nachrichtensender Fox-News und vermeldet die Entlassung des FBI-Direktors James B. Comey. „Reality“ von Tina Satter braucht nur diese eine, etwas unheimliche Einstellung, um ein prägnantes Bild von den ersten Monaten der Amtszeit Donald Trumps zu zeichnen, in denen Chaos, Vertuschung und Affektpolitik schnell zur Normalität gehörten. Es ist der 9. Mai 2017.

25 Tage später wird die junge Frau (Sydney Sweeney) mit dem unwahrscheinlich klingenden Namen Reality Winner vor ihrem Haus in Augusta, Georgia, von zwei FBI-Agenten (Josh Hamilton, Marchánt Davis) erwartet. Mit einem Durchsuchungsbefehl in der Tasche sagen sie, dass sie mit ihr sprechen wollen, um etwas zu „klären“. Winner, als Linguistin für Farsi bei einem für den NSA tätigen Informationsdienstleister beschäftigt, soll ein streng geheimes Dokument zur russischen Einflussnahme auf den US-Wahlkampf 2016 an die Nachrichtenwebsite „The Intercept“ weitergeleitet haben.

104 Minuten dauert die Tonaufzeichnung, die von der Hausdurchsuchung und dem Verhör mit der Whistleblowerin überliefert ist. Wie schon das von Tina Satter in New York inszenierte Theaterstück („Is this a Room“) folgen auch die Dialoge in „Reality“ Wort für Wort dem originalen Transkript – einschließlich Gelächter und Sprechpausen, Uhm’s und Hm-hmm’s. Satter hält sich mit dokumentarischer Präzision an das Verhörprotokoll, setzt zeitliche Markierungen („37 Minuten nach Beginn der Aufnahme“), sogar die geschwärzten Stellen in der Abschrift werden als Ton- und Bildaussetzer „übersetzt“. In die Spielszenen eingewebt sind zudem Instagram-Feeds sowie als Audio-Wellen visualisierte O-Töne.

Gleichwohl geht „Reality“, der vergangenes Jahr im Berlinale-Panorama Premiere feierte, weit über ein gewöhnliches Doku-Drama hinaus. So entfaltet sich ein brillantes Kammerspiel, das seinen Suspense aus der bizarren Gleichzeitigkeit von jovialem Geplauder, Einschüchterungstaktiken und direkter Konfrontation zieht. Weder Befrager noch Befragte können in diesem Moment die historische Bedeutsamkeit der Situation vollständigen ermessen.

Tatsächlich scheint die junge Frau, die gerade in Shorts und Stoffschuhen vom Einkaufen kommt, völlig ahnungslos zu sein, was das FBI von ihr wollen könnte. Ihre Sorge gilt zunächst ihren Haustieren, den verderblichen Lebensmitteln und der Musik auf ihrem konfiszierten Handy, die sie für ihre Yogaklasse am nächsten Tag braucht. Während das Grundstück zur „Crime Scene“ abgesperrt wird und weitere Männer das Haus sichern, entspinnt sich im Vorgarten zunächst ein vermeintlicher Smalltalk über Hunde und Cross-Fit.

In einem Interview wird Winner das Verhör später als ein „Schachspiel um ihr Leben“ bezeichnen. Im Film findet diese Beschreibung in der Inszenierung und Bildauflösung eine treffende Umsetzung. Das in einer etwas ranzigen leeren Waschküche stattfindende Verhör – es erfolgt absurderweise im Stehen, denn Winner besitzt keine Stühle – zerlegt Satter in harte Schnitt-Gegenschnitt-Sequenzen.

Alles dreht sich um Positionen im Raum, um Körpersprache und Gesten. Der eine Agent ist ein sich zugänglich gebender Beamtenspießer, sein durchtrainierter Pokerface-Kollege hält sich im Hintergrund, mit klarer Aufgabenverteilung drängen sie die Befragte buchstäblich an die Wand. Das Gesicht der Hauptdarstellerin Sydney Sweeney wird dabei zum Ereignis: ein Bewegungsbild, in das sich ihre zunehmende Destabilisierung hineinzeichnet.

Sie wollte kein „Snowden“ sein, erklärt Reality Winner nach ihrem Geständnis, aber an diesem Tag sei es einfach zu viel gewesen, um sich zurückzulehnen und nichts zu tun. Satter vermeidet es jedoch, Reality Winner auf eine impulshandelnde Zufalls-Leakerin festzulegen und porträtiert sie mit widersprüchlichen Details: eine ehemalige Air Force-Mitarbeiterin mit Pokemon-Tagesdecke und drei Waffen im Haus, die frustriert als Farsi-Übersetzerin in Augusta festsitzt, wo sie doch eigentlich als Paschtu-Linguistin in Bahrain arbeiten will.

In einer surrealen Sequenz übernimmt sie die Gesprächsführung und zeigt sich für einen kurzen Moment fast als die „große, böse Meisterspionin“, die zu sein ihr das FBI abspricht. Im hysterischen Gelächter der Männer wird wiederum all die Geringschätzung offenkundig, die Trump seinerzeit über Winner zum Ausdruck brachte. Ihr Leak sei harmlos gegen das, was Hillary Clinton getan habe, twitterte er. Winners scheinbare „Harmlosigkeit“ schützte sie jedenfalls nicht vor einer unverhältnismäßig harten Strafe. Nach einer Anklage unter dem Espionage Act wurde sie zu fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.

Bei der Arbeit habe sie es schwer gehabt, begründet Reality Winner einmal ihre Wut, die sie dazu brachte, ein Papier in ihrer Strumpfhose an die Öffentlichkeit zu schmuggeln. Sie hatte sogar eine förmliche Beschwerde eingereicht, weil im Büro ständig Fox News lief.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de