„Die Ausstattung der Welt“ im Kino: Es sind die kleinen Dinge, die zählen

„Die Ausstattung der Welt“ im Kino: Es sind die kleinen Dinge, die zählen

© Im Film Verleih

„Die Ausstattung der Welt“ im Kino: Es sind die kleinen Dinge, die zählen

Susanne Weirich und Robert Bramkamp fragen in ihrem klugen Dokumentarfilm, was eigentlich die Wahrnehmung unseres Alltags ausmacht. Und bergen Fundstücke aus den Lagern der Filmausstatter.

Von Kerstin Decker

Eine junge schwarze Frau schaut eine andere junge schwarze Frau an, vergleicht sie mit einem sehr alten Bild und kommt zu dem Schluss: „Die sieht aus wie du!“ – „Wieso, weil ich schwarz bin?“, fragt die andere. Es klingt beinahe beleidigt. Aber dazu besteht kein Grund. Thelma Buabeng hält einen Weltsplitter in der Hand: Das Bildnis der schwarzen Frau in europäischer Renaissance-Tracht wurde vor 1600 gemalt, sie kann nur eine Sklavin gewesen sein, eine Dienstbotin, aber sie schlägt den Blick nicht nieder, im Gegenteil: Gerader kann man nicht stehen, sie schaut den Betrachter direkt an, ohne die Spur eines Lächelns.

Solche Funde macht man mitunter an weltverlorenen Orten, die die Theater „Fundus“ nennen.

Das Wort bedeutet nicht, dass hier jeder zum Finder werden kann, sondern es heißt „Boden“, „Grund“. Also: Das hier ist die Basis – jedes Stücks, jeden Films; alles andere kommt nur hinzu. Schauspieler etwa, eine Geschichte. Aber dann verschwinden die Dinge, indem sie gezeigt werden. Sie sind noch da, aber nur, um übersehen zu werden. Bloßer Hintergrund. Das gilt auch für Blumen und Austern, insofern sie aus dem Fundus stammen.

Hintergrund wird Vordergrund im kleinen Welttheater

Hintergrund wird Vordergrund! Die Konzeptkünstlerin Susanne Weirich und der Regisseur Robert Bramkamp machen in voller Spielfilmlänge die Underdogs eines jeden Films zu Hauptdarstellern. Ja, sie tragen „Die Ausstattung der Welt“. Und was heißt, Dinge sind stumm?

Wessen Lebenstraum ist es schon, Inhaberin eines möglichst großen Requistenfundus zu werden? Als die Konzeptkünstlerin und der Filmemacher der Einladung der Inhaberin der Berliner delikatessen Susanne Hein folgten, waren sie bald infiziert: Das war nicht die erwartete Halle mit Lagerregalen, sondern ein ganzes Fabrikgebäude voller Dinge, die ihre eigene Geschichte erzählen wollen. Und dazwischen Leute, fast so schräg wie die Welt, die sie im Zaum halten.

Einem ganzen Universum von Thermosflaschen aus den 1970er Jahren gegenüber zu stehen, ist per se surreal. Vielleicht dürfen die Siebziger als die Selbstmörderperiode der Raumgestaltung gelten: Wohnen für Suizidgefährdete und solche, die es werden wollen. Die mit Abstand geschmackloseste Lampe im Film – ein mit roten Perlen verhangenes Drahtgestell – stammt gewiss auch aus dieser Epoche. Aber hier wird niemand kritisiert, also auch kein Ding, nicht mal eine Thermosflasche oder eine Lampe. Im Gegenteil.

Plötzlich haben wir kein Auge mehr für die Schauspieler

Weirich und Bramkamp waren aufmerksam genug, viel Händel über ihren Film zu legen. Denn was hören wir, wenn wir Barockmusik hören? Jedes Ding hat seinen festen Platz in der Welt, vielleicht sogar wir. Nichts kann verloren gehen. Das ist der nie wieder erreichte Trost des Barock. Und genau unter diesem Aspekt schauen wir uns nicht nur bei den delicatessen um. Auch treten die Dinge immer wieder unvermittelt in Aktion, in kurzen, gut montierten Filmsequenzen – von „Kolberg“ bis „Gundermann“ – und wir haben nun gar kein Auge mehr für die Schauspieler, sondern nur mehr für eine kleine Fahne, ein Telefon, eine Karaffe oder was wir sonst gewöhnlich übersehen.

Als stummer Erzähler des Films dient ein besonders absurdes, besonders überflüssiges Exemplar aus der Welt der Dinge. Es ist ein kleiner roter Fisch auf Rädern, der leuchtet, mit dem Schwanz wackelt und unmögliche Geräusche macht. Der rote Fisch ist der rote Faden in dieser Filmgeschichte, er verbindet das Unverbundene – also nicht nur DDR-Telefone in allen Farben und aus allen Jahrzehnten – mit dem großen Schlitten, der bei Susanne Hein unter der Decke hängt und für den es wohl nie wieder genug Schnee geben wird. Dass hier die Dinge unter sich Gespräche führen über die Jahrhunderte hinweg, hat der Zuschauer längst verstanden. Aber wer redet schon mit Sparbüchsen?

Eine Mitarbeiterin spricht aus, was wir längst ahnen: Das hier ist die wirkliche Welt, die kümmerliche da draußen wird bloß ausgestattet. Auch die Geschichte der schwarzen Frau auf dem Bild vor 1600 erzählt dieser schöne, aufmerksame Film aus der Welt der Dinge zu Ende. 

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de