Britischer Blick auf den Kontinent : Warum ist es am Rhein so schön – und sowieso in Germany

Zwei Briten loben Deutschland. Sie haben in vielem recht. Ein Kommentar.

Britischer Blick auf den Kontinent : Warum ist es am Rhein so schön – und sowieso in Germany

„Die britische Variante des Konservatismus brachte Boris Johnson hervor, die deutsche die meistrespektierte Führungspersönlichkeit…Foto: Odd Andersen/AFP

Im britischen „Guardian“ erschien vor ein paar Wochen die hymnische Besprechung eines ebenso hymnischen Buchs. Die Begeisterung beider, des Rezensenten wie des Schriftstellers, galt ausgerechnet: uns Deutschen, jenseits des Ärmelkanals einst besser als „Krauts“ bekannt und geschmäht. Die Liste der Lobpreisungen in John Kampfners „Why the Germans Do It Better“ (Warum’s die Deutschen besser machen) ist zu lang für diesen knappen Platz, hier nur ein paar Proben. Es gelte, so Rezensent David Edgerton, eine reiche, kultivierte und oft progressive Nation zu loben, die – der Seitenhieb auf eigene Leiden muss sein – „das Britannien des Brexit schlecht und traurig aussehen lässt“. Während der deutsche Konservatismus Angela Merkel hervorgebracht habe, „schlicht die am meisten respektierte demokratische Führungsfigur der Welt“, sei das Ergebnis der britischen Variante Boris Johnson. Die Einheit habe zwar den Osten Deutschlands heftiger deindustrialisiert als die 1980er Jahre unter Thatcher das Vereinigte Königreich. Mit 80 Prozent des westlichen Pro-Kopf-Einkommens sei die frühere DDR aber deutlich weniger von reicheren Landesteilen abgehängt als Englands Norden.

„Global Britain lebt in einer nostalgischen Traumwelt“

Und was die intellektuelle und seelische Verfassung beider Nationen angehe, so zeigten etwa die 75-Jahr-Feiern zum Kriegsende den Unterschied auf: „Während Deutschland den Tag als Tag der Befreiung beging, benutzte Brexit-Britain den Zweiten Weltkrieg oder vielmehr eine erfundene Erinnerung daran, um von der Realität abzulenken“ – etwa davon, dass an Covid-19 mehr Menschen gestorben seien als im Blitzkrieg. Bezeichnend in mehrfacher Hinsicht sei auch ein Interview Merkels kurz vor ihrer Kanzlerschaft. Auf die Frage, was sie mit Deutschland zuerst verbinde, antwortete sie: „Winddichte Fenster“.

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Das passe, schreibt der „Guardian“. Deutschland verfüge über sechs Prozent der weltweiten verarbeitenden Industrie, auch als Exportnation spiele es in einer anderen Klasse als das selbsternannte „global Britain“ (zwei Prozent) ), das englisch-einsprachig und mittelmäßig sei, dessen Horizont kaum weiter bis in die USA reiche und das in einer „nostalgischen Traumwelt“ lebe. Dabei sei Deutschland keineswegs mehr wie noch zu „Kaiser Bill’s“ Zeiten das Land des Vorsprungs durch Technik, sondern „freundlich, intellektueller, kultiviert, ein Ort sozialen Zusammenhalts“ – wohl weil man nicht alles gläubig dem Markt überlassen habe.

Städtebund im Kanzlerinnenamt

Kampfner und sein Rezensent Edgerton hätten sich in dieser Woche bestätigt gefühlt: Da empfing die „meistrespektierte Führungspersönlichkeit der Welt“ eine große Abordnung von Oberbürgermeisterinnen und Landräten per Video. Auf 200 Kommunen ist inzwischen das informelle Bündnis derer angewachsen, die sich zu „sicheren Häfen“ erklärt haben, willens und in der Lage, Tausende Geflüchtete mehr aufzunehmen. Die Kanzlerin hat sich das offenbar zwei Jahre lang angesehen und jetzt mit der Einladung und zwei Stunden aufmerksamen Zuhörens ein Zeichen ihrer Anerkennung gesetzt. Ergebnis? Noch unklar. Wie anders bei diesem heißen Eisen! Das erste wichtige Ergebnis war bereits das Treffen. In Deutschland, so vor Jahren ein britischer Wissenschaftler, gehe vieles manchmal langsamer, aber alle würden eingebunden, und am Ende stehe oft ein Ergebnis, das auch von den meisten akzeptiert werde.

Nein, für Hurrapatriotismus und „Ich-bin-stolz-Deutscher-zu-sein“-Sätze taugen lange politische Aushandlungsprozesse wenig. Aber seien wir, Corona hin oder her, ruhig kurz etwas froh, in diesem Land zu leben. Vor allem: es mitgestalten zu können.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de