Der Freispruch für Abou-Chaker war die einzige Option

Nach dreieinhalb Jahren Verfahrensdauer fällt das Landgericht Berlin ein Urteil im Strafprozess gegen Arafat Abou-Chaker. Die Entscheidung der Richter ist ein Sieg auf ganzer Linie für den Ex-Manager von Rapper Bushido. Das mag viele enttäuschen - war aber alternativlos.

Arafat Abou-Chaker bleibt ein freier Mann. Im Strafprozess rund um den Streit mit seinem Ex-Kumpel Bushido sprach ihn das Landgericht Berlin in allen Hauptanklagepunkten frei. Lediglich für das heimliche Aufnehmen von Gesprächen mit dem Rapper wurde er verurteilt, die Geldstrafe ist kaum der Rede wert. Die Entscheidung der Richter mag viele überraschen, gar enttäuschen, ist es doch ein Sieg auf ganzer Linie für den sogenannten Clanchef. Allerdings gewinnt mit diesem Urteil nicht nur Abou-Chaker, sondern auch – nein, vor allem – der Rechtsstaat. Damit hat die Justiz der Hauptstadt in letzter Sekunde die Kurve gekriegt.

 

So war der Strafprozess selbst alles andere als ein Paradebeispiel für ein gelungenes rechtsstaatliches Verfahren. In erster Linie sticht die enorme Länge des Prozesses ins Auge: Dreieinhalb Jahre drehten Richter, Staatsanwältin und Verteidiger im Zusammenhang mit dem Zoff zwischen Bushido und seinem Ex-Manager jeden Stein um – dreieinhalb Jahre wurde ein großer Teil der chronisch überlasteten und unterbesetzten Justiz gebunden. Nicht zu vergessen das enorme Polizeiaufgebot, das etliche Male aufgefahren werden musste, wenn der Nebenkläger und wichtigste Zeuge Bushido aussagte.

Nun können Kraftanstrengungen der Justiz durchaus gerechtfertigt sein. Man denke an das Stammheim-Verfahren oder die Nürnberger Prozesse. Verhandelt wurden schlimmste Verbrechen gegen das Leben, bei denen sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Aufwands kaum stellt. Im Fall von Abou-Chaker drängt sie sich hingegen regelrecht auf: Verhandelt wurde ein Streit zwischen ehemaligen Freunden, bei dem niemand ernsthaft verletzt wurde. Während eines der Streitgespräche soll Abou-Chaker die Tür abgeschlossen haben, dann soll eine 0,5-PET-Wasserflasche in Richtung Bushido geflogen sein. Nichts von alledem hat mit Schwerverbrechen zu tun, vielmehr wabert das Wort Lappalie über diesem Prozess.

Verbissenheit der Anklage
Hatte es die Justiz in diesem Fall möglicherweise mit einer besonders komplizierten Beweislage zu tun? Auch diese mögliche Rechtfertigung ist schnell vom Tisch – alle wichtigen Zeugen waren auffindbar und beinahe alle Beweismittel von Anfang an bekannt. Kurzum: Ein Grund für die massive Überlänge ist nicht erkennbar. Die Kammer wäre also verpflichtet gewesen, in den Zeitplan einzugreifen und das Verfahren im Hinblick auf die Dauer ordentlich zu straffen. Dass dies nicht geschehen ist, ist nicht nur aus ökonomischen Gründen ärgerlich. Es könnte auch einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot und damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention darstellen.

Während dem Gericht eine zeitweise miserable Koordination vorzuwerfen ist, fällt bei der Anklagebehörde vor allem die Verbissenheit auf. Keine Frage, bemüht sich die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln um die Aufklärung einer Straftat, ist das erst einmal nichts anderes als ihre Aufgabe. Allerdings ist sie als neutrale Behörde verpflichtet, sowohl Beweise gegen als auch für den Beschuldigten zu sammeln und zu werten. In diesem Fall war die Beweislage von Anfang an dünn. So dünn, dass es nicht überraschend gewesen wäre, hätte die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage verzichtet und das Ermittlungsverfahren aus mangelndem Tatverdacht eingestellt.

Nun ist exakt das Gegenteil geschehen: Die Behörde konstruierte ihre Anklage fast ausschließlich auf der Aussage von Rapper Bushido – und hielt bis zum Schluss an dieser fest. Dabei möchte man von „Red Flags“ sprechen, die von der Anklagebehörde offensichtlich ignoriert wurden. So hätte die Beziehung, in der ihr „Kronzeuge“ zu Abou-Chaker stand, zumindest ein Grund für Skepsis sein können. Bushido habe durchaus „Gründe für eine überzogene Darstellung“, fasste es Richter Martin Mrosk in der Urteilsverkündung zusammen.

Fragwürdige Beweislage
Zudem konnte die angebliche Rötung im Gesicht des Rappers, die dieser nach der behaupteten Plastikflaschen-Attacke hatte, niemand anderes bezeugen als seine Frau Anna-Maria Ferchichi. Auch traf sich Bushido rund zwei Wochen nach der behaupteten Freiheitsentziehung, der angeblichen versuchten Erpressung und Körperverletzung durch Abou-Chaker gleich wieder mit seinem vermeintlichen Peiniger. Unabhängige Zeugen, die Bushidos Version der Geschichte ernsthaft bestätigen konnten, gab es ebenso wenig wie objektive Beweismittel.

Im Gegenteil: Heimliche Tonaufnahmen der Treffen zwischen Abou-Chaker und Bushido belegten zwar einen Streit – Drohungen, Erpressungen oder Flaschenwürfe waren allerdings nicht zu hören. Ein Wendepunkt im Verfahren – gerade für die Staatsanwaltschaft – hätte schließlich ein Zwischenfazit des Gerichts im Sommer 2022 sein können. Damals äußerte Richter Mrosk erhebliche Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft. Im Übrigen machte er im gestrigen Urteil sehr deutlich, dass die Kammer weitestgehend an ihrer damaligen Überzeugung festgehalten hat. Spitzzüngig könnte man sagen, die vergangenen eineinhalb Jahre Verfahrensdauer haben kaum etwas, wenn nicht nichts, zur Wahrheitsfindung beigetragen – dafür aber Zeit und Ressourcen gekostet.

Für die Anklage war all dies kein Grund, von ihrer Anklage abzurücken, sei es auch nur einen Millimeter. Dass dies genauso gewesen wäre, hätte der Angeklagte Hans Meier geheißen, ist nur schwer vorzustellen. So haben sich die Strafverfolgungsbehörden an Arafat Abou-Chaker, dem sogenannten Clanchef, bereits die Finger wund ermittelt. Etliche Male durchleuchteten sie seine Konten, verfolgten ihn und hörten ihn ab – in fast allen Fällen vergeblich. Meistens, so heißt es von den Behörden, aus Mangel an Beweisen. Tatsächlich ist die Szene um Abou-Chaker für ihre Verschwiegenheit bekannt.

„Man schaut in viele enttäuschte Gesichter“

Damit liegt der Verdacht nahe, dass Bushido und seine Bereitschaft zum Auspacken eine Art Hoffnung bei den Ermittlern weckte, die in Scheuklappen endete. Es scheint, als hätte sich die Behörde den Schlag gegen Arafat Abou-Chaker und damit gegen das wohl berüchtigtste Großfamilien-Oberhaupt so sehr gewünscht, dass grundlegende Prinzipien eines Strafverfahrens in den Hintergrund rückten.

Damit ist die Anklagebehörde offenbar nicht alleine. „Man schaut in viele enttäuschte Gesichter“, stellte ein Prozessbeobachter nach der Verkündung des Freispruchs von Abou-Chaker in den Hauptanklagepunkten fest. Was aber wäre die Alternative? Arafat Abou-Chaker ohne stichhaltige Beweise verurteilen? Weil die Behörden grundsätzlich kriminelle Energie bei ihm vermuten? Oder wegen seines Familiennamens? Das würde bedeuten, Symbolverfahren und Sippenhaftung aus der dunkelsten Zeit deutscher Rechtsgeschichte hervorzukramen – mit einem Rechtsstaat hätte das nichts mehr zu tun.

Der Freispruch für Abou-Chaker in den Hauptvorwürfen war aus rechtsstaatlicher Sicht die einzige Option, die Milderung seiner Geldstrafe wegen der enormen Prozesslänge ebenfalls zwingend. Bleibt nun zu hoffen, dass dies auch die Staatsanwaltschaft erkennt und auf eine Revision verzichtet.