Mysteriöser Tonkrug aus dem alten Orient: Wie kommt die Muschel in die Wüste?

Mysteriöser Tonkrug aus dem alten Orient: Wie kommt die Muschel in die Wüste?

© Bernd Müller-Neuhof, DAI-Orientabteilung

Mysteriöser Tonkrug aus dem alten Orient: Wie kommt die Muschel in die Wüste?

In einer unscheinbaren Hausruine in der jordanischen Wüste wartete mehr als 5000 Jahre lang ein kleiner Schatz auf seine Entdecker. Darunter war ein exotisches Tiergehäuse.

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Mit rund 70 Kilometern pro Stunde pfiff der Sandsturm von der Arabischen Halbinsel hinüber bis zum Vulkan Tulul al-Ghusayn in der Basaltwüste im Nordosten Jordaniens. Und zwar seit Tagen.

Es war kein ideales Wetter, um die kleinen Hausruinen aus Basaltsteinen und Lehm auszugraben. Die Gegend ist jedoch so abgelegen und schwer erreichbar, dass eine Aufgabe der Grabung für Bernd Müller-Neuhof von der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Institutes in Berlin und seinen französischen Kollegen Wael Abu-Azizeh nicht infrage kam.

So setzten sie trotz des Sturms ihre Arbeit fort, erinnert sich Müller-Neuhof. Die Siedlung am Tulul al-Ghusayn hatten britische und australische Archäologen schon drei Jahre zuvor bei einer Befliegung entdeckt. Der Berliner Archäologe hat sie 2013 erstmals aufgesucht. Die Grabungen mitten im Sturm im Jahr 2015 blieben zunächst ergebnislos, die ersten Gebäude waren fundleer.

Doch dann im dritten Haus: „Plötzlich traf die Hacke im Lehmziegelschutt auf einen harten Gegenstand“, erzählt Müller-Neuhof. „Den Sound, wenn Metall auf Keramik trifft, den kennt man als Archäologe. Das war eine Überraschung.“ Vorsichtig arbeiteten die Wissenschaftler weiter und fanden einen Krug aus feinem Ton.

Die Überraschung wurde noch größer, als sie in dem gut erhaltenen Krug eine glänzend weiße Muschelschale und zwei polierte Steine entdeckten: einen Kiesel und ein viereckiges Fragment eines Mahlsteins. „Wäre das Haus noch bewohnt gewesen, hätte der Krug auf dem Boden immer im Weg gestanden“, erzählt Müller-Neuhof. Er vermutet, dass dieser Krug mit seinem eigenartigen Inhalt so prominent platziert wurde, als man die Siedlung aufgegeben hat.

Objekte aus dem Kulturkreis von Uruk

Das Tiergehäuse untersuchte der Weichtierexperte Simon Schneider von der Universität Cambridge. Der Spezialist identifizierte es als Euphratmuschel. Auch die beiden Steine müssen lange im Fluss gelegen haben, was ihnen Glanz verlieh und die Kanten abrundete. Schließlich bewiesen petrografische Analysen an einer Krugscherbe durch Forschende der Freien Universität Berlin, dass dessen feiner Ton aus der Region des Mittleren Euphrats stammt – heute ist dies syrisches Gebiet.

Mysteriöser Tonkrug aus dem alten Orient: Wie kommt die Muschel in die Wüste?

Der Archäologe Bernd Müller-Neuhof 2013 in Jordanien.

© R. Bewley, APAAME

Alle Objekte entstammen somit wohl derselben Region und sind zwischen 3700 und 3500 vor unserer Zeitrechnung zu datieren. Damals lag diese Region im Einflussgebiet der Uruk-Kultur, benannt nach dem Ort Uruk am unteren Euphrat, die erste Megametropole des Alten Orients. Dass Objekte dieser Kultur so weit im Süden auftauchten, war neu. Allerdings sind auch Funde der Uruk-Kultur in Ägypten belegt. Wie sie dorthin gelangten, ist aber bis heute unbekannt.

Eine heiße Spur zu einer alten Verbindung

Nun fanden sich plötzlich vier exotische Objekte in einem unscheinbaren Haus, das nicht anders aussah als all die anderen Gebäude der Umgebung. Für Müller-Neuhof ist dieser ungewöhnliche Fund eine „smoking gun“, ein rauchender Colt für den möglichen Nachweis, dass die Verbindung zwischen der Uruk-Kultur zu Ägypten vielleicht über die Wüstensteppen Ostjordaniens führte.

Mysteriöser Tonkrug aus dem alten Orient: Wie kommt die Muschel in die Wüste?

Die Hausstruktur, aus der der Krug stammt: Die Grundmauern sind noch gut erhalten, das fehlende Mauerwerk darüber bestand aus Stampflehm oder Lehmziegeln. 

© Bernd Müller-Neuhof

Ein weiterer Beleg dafür könnten auch die etwa 70 Kilometer östlich gelegenen Feuersteinminen sein. Dort wurden im selben Zeitraum Millionen hochwertiger Rohlinge für sogenannte Fächerschaber für den Export produziert. Die Geräte waren damals in den meisten Regionen Vorderasiens und in Ägypten in Verwendung. Über die bislang noch nicht identifizierten Routen dieses Gerätehandels müssen wohl auch die geheimnisvollen Gegenstände nach Tulul al-Ghusayn gekommen sein.

Obwohl die Objekte von großer Bedeutung für die damaligen Bewohner gewesen sein dürften, hatten sie doch eher einen ideellen als einen praktischen Wert. Der Krug war bereits beschädigt, die Muschel hatte gar keine Funktion. Der Reibstein war nicht mehr zu verwenden und der Kieselstein wies nur eine eingeritzte Kerbe auf. Es war die Herkunft und der Glanz, der ihnen möglicherweise einen rituellen Wert gab.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de