Nach Angriff auf jüdischen Studenten in Berlin: Tatverdächtiger darf nicht exmatrikuliert werden – CDU will Hochschulgesetz ändern

Nach Angriff auf jüdischen Studenten in Berlin: Tatverdächtiger darf nicht exmatrikuliert werden – CDU will Hochschulgesetz ändern

© dpa/Christoph Soeder

Nach Angriff auf jüdischen Studenten in Berlin: Tatverdächtiger darf nicht exmatrikuliert werden – CDU will Hochschulgesetz ändern

Nach der Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapria wird über eine Exmatrikulation des Tatverdächtigen debattiert. Die Wissenschaftssenatorin ist skeptisch.

Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra sieht Forderungen nach einer Exmatrikulation des Studenten skeptisch, der einen jüdischen Kommilitonen angegriffen und verletzt haben soll. „Es ist ein hohes Grundrecht, das hier betroffen wäre von einer Exmatrikulation“, sagte die SPD-Politikerin in der RBB-„Abendschau“ am Dienstag. „Exmatrikulation aus politischen Gründen lehne ich auch grundsätzlich ab.“ Die CDU fordert unterdessen eine Änderung des Hochschulgesetzes.

„Wir wollen die Hochschulen nicht zu Gated Communities machen“, sagte Czyborra weiter. Sie seien offene Räume der Kommunikation und der Debatte. „Die Wissenschaft lebt von Austausch, lebt von Internationalität, lebt von internationalen Studierenden. Und natürlich gibt’s auch dann mal Konflikte auf dem Campus. Und die müssen wir eindämmen.“ 

Der 30-jährige jüdische Student der Freien Universität (FU), Lahav Shapira, war am Wochenende mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen. Ein 23-jähriger propalästinensischer Kommilitone soll ihn in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Die Polizei hatte berichtet, dass beide zunächst in Streit gerieten, bevor der 23-Jährige plötzlich zugeschlagen habe. Der mutmaßliche Täter floh zunächst, wurde dann aber ermittelt.

Zentralrat der Juden fordert Exmatrikulation

Der Zentralrat der Juden hatte nach dem mutmaßlichen Angriff auf Shapira von der FU strikte Konsequenzen gefordert. „Wer einen jüdischen Kommilitonen krankenhausreif schlägt, weil er Jude ist, der hat an einer deutschen Universität nichts zu suchen“, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Dienstag in Berlin. „Eine Exmatrikulation des betreffenden Studenten ist alternativlos.“

Nach Darstellung der Universität ist ein solcher Rauswurf aber rechtlich nicht möglich, allenfalls ein dreimonatiges Hausverbot. FU-Präsident Günter Matthias Ziegler sagte der „Abendschau“: „Ich habe den Eindruck, dass wir nachschärfen müssen, zumindest in den Hilfsmitteln, die wir haben. Und dass das, was im Moment besteht, eben ein Hausverbot begrenzt auf drei Monate, möglicherweise für die Situationen, die wir haben, nicht reichen wird.“

Die Freie Universität erläuterte auf ihrer Webseite: „Das sogenannte Ordnungsrecht der Hochschulen, das als weitreichendste Maßnahme auch die Exmatrikulation ermöglichte, wurde durch Änderung des Berliner Hochschulgesetzes im Jahr 2021 abgeschafft. Somit ist eine Exmatrikulation schon formal nicht möglich.“ Zur Sicherung des geordneten Hochschulbetriebs könnten „Maßnahmen gegen Störungen mit einer Dauer von höchstens drei Monaten getroffen werden (z.B. Hausverbot)“.

Berliner CDU will Ordnungsrecht an Hochschulen wieder einführen

Adrian Grasse, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, will Exmatrikulationen wegen Ordnungsverstößen wieder ermöglichen und dafür das Hochschulgesetz ändern. Die Abschaffung des Ordnungsrechts sei bei der Hochschulgesetz-Novelle 2021 Teil einer Reihe von Maßnahmen zur Einschränkung der Hochschulautonomie gewesen, sagte Grasse. Angesichts der jüngsten Ereignisse werde er das Thema erneut in der Koalition aufrufen und sich für eine Wiedereinsetzung starkmachen, kündigte der CDU-Politiker an.

„Wir haben in den vergangenen Wochen eine zunehmend besorgniserregende Entwicklung an den Berliner Hochschulen erlebt. Ich halte es vor diesem Hintergrund für geboten, die Handlungsspielräume der Hochschulleitungen zu erweitern“, sagte Gasse. Neben Hausverboten brauche es eine rechtliche Grundlage, um in Fällen wie dem nun vorliegenden die Möglichkeit zur Exmatrikulation zu haben. „Allein die Verfügbarkeit dieses Instruments würde sicherlich eine disziplinarische und damit auch präventive Wirkung entfalten“, sagte Grasse.

Bildungsministerin mahnt Konsequenzen an

Nach dem Angriff auf Shapira forderte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Hochschulen zu konsequentem Einschreiten auf. „Hochschulen sind Orte maximaler Freiheit, aber sie sind keine rechtsfreien Räume“, sagte sie dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Mittwoch). Für Antisemitismus dürfe es an deutschen Hochschulen keinen Platz geben. „Diese Gewalt macht fassungslos und zeigt, wohin Israel- und Judenhass führt“, fügte die FDP-Politikerin hinzu.

Zur Abwehr seien rechtsstaatliche Mittel ebenso erforderlich wie eine klare Positionierung aller Hochschulleitungen: „Viele Hochschulen sind ihrer Verantwortung gerecht geworden und haben sich klipp und klar gegen Antisemitismus positioniert“, sagte die Ministerin. Das sei dringend notwendig. Hochschulleitungen müssten von allen rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen: „Ein Wegsehen ist inakzeptabel.“ 

„Antisemitisches Tatmotiv nicht fernliegend“

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Berlin, die den Fall inzwischen übernommen hat, wurde der Tatverdächtige nicht festgenommen. Ein Sprecher der Behörde erklärte am Dienstag auf Anfrage: „Untersuchungshaft würde voraussetzen, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen könnte. Dies ist hier nicht der Fall.“

Die weiteren Ermittlungsschritte würden geprüft. Im Raum stehe der Verdacht der gefährlichen Körperverletzung. „Ein antisemitisches Tatmotiv scheint nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen nicht fernliegend“, erklärte der Sprecher weiter.

Die Freie Universität hatte sich am Montag bestürzt über den „mutmaßlich antisemitisch motivierten Angriff“ geäußert und angekündigt: „Wenn sich bestätigt, dass der Täter Student der Freien Universität Berlin ist, wird die Hochschule umgehend die möglichen juristischen Schritte im Rahmen des Hausrechts prüfen und gegebenenfalls ein Hausverbot durchsetzen.“

Zentralratspräsident Schuster reicht das nicht. „Die FU Berlin hat die Verantwortung dafür, dass es in ihren Reihen keinen Platz für Extremismus und Antisemitismus gibt“, erklärte er in Berlin. „Die Beschwichtigungstaktik und die Ausflüchte der Hochschulleitung müssen endlich ein Ende haben. Wenn der Kampf gegen Antisemitismus ernst genommen wird, müssen antisemitische Straftaten zur Exmatrikulation führen.“

Freie Universität verweist auf Hochschulgesetz

Die Jüdische Studierendenunion mahnte die FU-Leitung. „Jüdische Studierende erwarten endlich klare Konsequenzen für Antisemiten am Campus“, sagte die Verbandspräsidentin Hanna Veiler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Universitätsleitungen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Öffentliche Statements sind nicht mehr genug.“ Die Uni müsse Judenhass bei Studierenden und Angestellten den Nährboden nehmen.

Lior Steiner, Gründer der Jüdischen Studierendenvereinigung an der FU, forderte klare Schritte. „Und die Schritte müssen sofort kommen. Ansonsten gibt es schon einzelne Berichte von Studenten und Kommilitonen von mir, dass sie die Uni verlassen möchten.“

Bruder spricht von der Vorgeschichte

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte es auch an deutschen Hochschulen immer wieder Konflikte zwischen proisraelischen und propalästinensischen Studierenden gegeben. An der FU hätten jüdische Studierende Angst, berichtete die „Bild“-Zeitung.

Der Bruder des verletzten Studenten, Shahak Shapira, sagte der „Berliner Zeitung“, es gebe viele unbeantwortete Fragen zum Verhalten der Universität in den letzten Monaten. Sein Bruder Lahav hatte dem Bericht zufolge versucht, als Beobachter an propalästinensischen Aktionen teilzunehmen und dort Poster der von der Hamas entführten Menschen aufzuhängen. Dabei sei er gefilmt worden.

„Anstatt für Aufklärung zu sorgen, hat man es irgendwelchen dubiosen Twitteraccounts überlassen, mit nichts aussagenden Videoausschnitten gewisse Studierende als rechtsextrem oder gewalttätig zu framen, wo sie diejenigen waren, die körperlich angegangen wurden und von öffentlichen Demos oder gar Hörsälen ihrer Uni ausgeschlossen wurden“, sagte Shahak Shapira der Zeitung. „Ist die FU jetzt schuld daran, dass mein Bruder angegriffen wurde? Nein. Aber dass die FU die Entwicklung einer Atmosphäre, aus der ein solcher Angriff hervorkommen kann, ein Stück weit zugelassen hat, ist schwer zu leugnen.“ (dpa, Tsp)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de