Vereint in der Wut: Warum die Bauernproteste in Deutschland und Frankreich zeitgleich stattfinden

Vereint in der Wut: Warum die Bauernproteste in Deutschland und Frankreich zeitgleich stattfinden

© AFP/FREDERICK FLORIN

Vereint in der Wut: Warum die Bauernproteste in Deutschland und Frankreich zeitgleich stattfinden

Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich flammen Proteste der Landwirte auf. Das ist kein Zufall. Fünf Gründe, warum die Bauern in beiden Ländern gerade jetzt so massiv auf die Straße gehen.

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Die Bilder ähneln sich, und doch gibt es Unterschiede beim Bauernprotest, der in diesen Tagen in Deutschland und Frankreich zu Traktor-Blockaden und langen Staus führt. In Deutschland entzündete sich der Protest zunächst an der Kürzung von Beihilfen beim Agrardiesel. In Frankreich haben die Landwirte den Verzicht auf geplante Steuererhöhungen für den Trecker-Treibstoff bereits durchgesetzt.

Aber die Forderungen der Landwirte im Nachbarland gehen inzwischen weiter. Unter dem Druck der Bauern in Frankreich hat die EU-Kommission die für dieses Jahr vorgesehene geplante Stilllegung von Flächen, die dem Artenschutz zugutekommen soll, wieder zurückgenommen.

Fünf Faktoren beeinflussen den Protest der Landwirte in Deutschland und Frankreich.

1 Die Landwirte haben Zeit

Beim Bauernprotest in Deutschland und Frankreich gibt es eine gegenseitige Wechselwirkung. Im vergangenen November begannen Landwirte in Frankreich damit, landesweit fast 10.000 Schilder an Ortseingängen umzudrehen und damit auf ihre schwierige wirtschaftliche Situation aufmerksam zu machen. Das Motto des Protestes: „On marche sur la tête“ („Alles steht Kopf“). Im Dezember waren es dann Landwirte in Deutschland, welche die Symbolik übernahmen.

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„Alles steht Kopf“. Bauernprotest in Frankreich: Ein umgedrehtes Ortsschild im Département Haute-Saone in Ostfrankreich.

© Albrecht Meier

Die weitere Verschärfung der Proteste nahm anschließend in Deutschland ihren Anfang. Als die Ampel-Regierung im Dezember die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge und der Beihilfen beim Agrardiesel ankündigte, kam es zur ersten Großkundgebung in Berlin. Im Januar schwappte der massenhafte Protest der Landwirte nach Frankreich über.

Es ist kein Zufall, dass die Männer mit ihren Traktoren gerade jetzt in deutschen Innenstädten oder in der Umgebung von Paris Präsenz zeigen. Derzeit ist auf den Feldern nichts zu tun. Bevor im Februar wieder mit dem Pflügen begonnen wird, bleibt noch ausreichend Zeit für Demonstrationen.

2 Die Form des Protestes

In beiden Ländern sind Landwirte in der Vergangenheit immer wieder auf die Straße gegangen. In Deutschland demonstrierten sie beispielsweise in der Amtszeit des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder (SPD) angesichts der massenhaften Keulung von Rindern, die wegen der BSE-Krise notgeschlachtet werden mussten.  „Schröder = Bauerntöter“ war damals auf Transparenten zu lesen.

In Frankreich war der Protest von Vertretern der Agrarbranche stets robuster. Wenn Bauern im Nachbarland jetzt auch wieder aus Protest gegen Billigimporte ausländische Lkws angreifen und Ware zerstören, dann ist das nichts Neues. Im Fokus steht jetzt die Blockade von Autobahnen rund um Paris.

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Landwirte blockieren in Jossigny eine Autobahn nach Paris.

© REUTERS/STEPHANIE LECOCQ

Gleichzeitig rief der Präsident des französischen Bauernverbandes FNSEA, Arnaud Rousseau, zur „Ruhe“ und zur „Gewaltlosigkeit“ auf. Dass es trotzdem in Frankreich eher als in Deutschland zu gewaltsamen Ausschreitungen kommt, hängt damit zusammen, dass der Berufszweig im Flächenland Frankreich eine noch wichtigere Rolle spielt als in Deutschland.

Das zeigt sich auch mit Blick auf die Zuwendungen von der EU. Kein anderes Land in der EU profitiert von der Gemeinsamen Agrarpolitik so wie Frankreich. Im Jahr 2022 erhielten französische Bauern 9,45 Milliarden Euro von der EU, noch vor Spanien (6,89 Milliarden) und Deutschland (6,33 Milliarden).

3 Streit um den Agrardiesel 

Vordergründig geht es in beiden Ländern darum, dass die Landwirte mit ihren Demonstrationen eines erreichen wollen: eine möglichst geringe finanzielle Belastung. In Deutschland hat sich die Ampel darauf festgelegt, dass die Beihilfen beim Agrardiesel bis zum Jahr 2026 abgeschmolzen werden sollen.

Daran dürfte auch eine Initiative der Bundesländer unter der Federführung des Schweriner Landwirtschaftsministeriums nichts ändern. Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und das Saarland verlangen, dass der Abbau der Agrardiesel-Subventionen über einen längeren Zeitraum gestreckt wird. 

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Traktoren blockieren eine Autobahnzufahrt.

© dpa/Martin Schutt

Dagegen ist die Regierung in Frankreich in diesem Punkt inzwischen komplett gegenüber den Bauern eingeknickt. Der neue Premierminister Gabriel Attal kündigte an, dass es nicht zu der ursprünglich geplanten Steuererhöhung auf den in Frankreich verwendeten Kraftstoff für landwirtschaftliche Fahrzeuge komme. Ursprünglich wollte die Regierung in Paris die Steuer auf den Kraftstoff bis 2030 schrittweise erhöhen.

4 Entschädigungen für Sturm- und Hochwasserschäden

Der Forderungskatalog der Landwirte in Frankreich umfasst inzwischen auch möglichst rasche Ausgleichszahlungen für die Schäden, die auf den Höfen angesichts der jüngsten Sturm- und Hochwasserereignisse entstanden sind.

Im November hatte das Orkantief „Ciaran“ mit schweren Stürmen den Nordwesten Frankreichs getroffen. Im Departement Finistère waren erhebliche Ernteausfälle die Folge.

5 EU-Auflagen zur Flächenstilllegung

In Frankreich gingen die protestierenden Bauern davon aus, mit ihrem Protest eine Rücknahme der EU-Auflagen für die Brachflächen zu erreichen – und setzten sich durch. Eigentlich sollen laut der Brüsseler Gemeinsamen Agrarpolitik in diesem Jahr im Sinne der Artenvielfalt vier Prozent der Ackerflächen stillgelegt werden.

Aber Premierminister Attal kündigte in seiner ersten Regierungserklärung an, man sei in den Gesprächen mit der EU „nahe an einer Vereinbarung“. Der Druck aus Frankreich wirkte: Am Mittwoch teilte die EU-Kommission mit, dass die Regelung zur Stilllegung auf vier Prozent der Flächen durch eine Mindestvorgabe für den Anbau von Zwischenfrüchten ersetzt wird. 

Anders als in Frankreich spricht die Ampel-Regierung in Berlin bei der von den Landwirten geforderten Aussetzung der Flächenstilllegung nicht mit einer Stimme.

Bei einer Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor erklärte zwar Finanzminister Christian Lindner (FDP) Mitte Januar, jetzt sei „die Gelegenheit, EU-Pläne wie die Flächenstilllegung infrage zu stellen“. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will hingegen offenbar sicherstellen, dass der vorgesehene Flächenanteil tatsächlich brach gelegt wird. Allerdings hat der Grünen-Politiker kein Veto-Recht auf EU-Ebene. Die nationalen Regierungen haben es selbst in der Hand, ob sie von der neuerlichen Aussetzung der Flächenstilllegung Gebrauch machen oder nicht.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de